Schatz gefunden
Ein Schatz wurde gefunden: drei Protokollbücher zu früheren Verhandlungen in Sachen Nachbarschaftsstreit im Ort.
Beim Umzug ins neue Rathaus wurden die längst vergessenen Bücher in einem Karton entdeckt.
„Ein wahrer Schatz für uns, der nun erst mal gesichtet werden muss“, so Brigitte Zunke, derzeitige Chefin nach der Wende in der Schiedsstelle in Leegebruch. Die Dinge, die hier verhandelt wurden, liegen ja lange vor ihrer Zeit.
Es sind drei Bücher, alle in Handschrift verfasst. Das älteste protokolliert Fälle in der Zeit von September 1941 bis Ende September 1943. Schiedsmann Franz Lüdicke, für den Bereich Osthavelland zuständig, hat darin Streitfälle aus Leegebruch, Eichstädt, Marwitz und Bärenklau – offensichtlich sein Wirkungsbereich – festgehalten. Und zwar alles in Sütterlin-Handschrift.
Da muss man sich erst hineinlesen und übersetzen. Erkennbar ist aber jetzt schon: In den zwei Jahren sind 100 Verhandlungen aufgezeigt, d. h. pro Jahr etwa 50 Streitfälle. Es gab offensichtlich viel Zoff seinerzeit in Leegebruch und den Nachbardörfern.
Die anderen zwei Protokollbücher umfassen zusammenhängend den Zeitraum von zehn Jahren: komplett von 1948 bis 1958. Diese Protokolle sind eher lesbar, weil handschriftlich in lateinischer Schreibschrift abgefasst.
Nach erster Sichtung kommt man da immerhin pro Jahr schon mal auf 15 bis 20 Fälle. Der seinerzeit tätige Schiedsmann Günther Lange hatte einiges zu schlichten.
Heute undenkbar. Mit durchschnittlich drei bis fünf Fällen pro Jahr – in 2018 sogar kein einziges Schlichtungsbegehren – ist wohl Ruhe ins Leegebrucher Miteinander eingezogen.
Das sah nach Aktenlage früher ganz anders aus.
In den meisten Streitigkeiten ging es um Beleidigungen, Unterstellungen, auch Denunzierungen. So findet man immer wieder in den protokollarisch festgehaltenen Vorwürfen solche beleidigenden Worte wie „Hure, Straßenweib, Ehebrecherin und Miststück“ für Beschimpfte, die sich dagegen wehren. Aber auch ein als Kartoffeldieb Verdächtigter muss sich rechtfertigen oder ein angeschwärzter Leegebrucher, der auf dem Schwarzmarkt in Oranienburg Fett und Speck (1949) angeboten hat.
Entdeckt wurde auch eine Praxis, die heutzutage undenkbar ist: eine öffentliche Erklärung. So sind in den 1940er Jahren öffentliche Bekanntmachungen als sühnende Schlichtung erlassen worden. Und zwar als Aushang für eine Woche lang im einstigen Konsum in der Gartensiedlung. Der Text lautete meist abgewandelt wie folgt: „Frau/Herr Sowieso nimmt die getanen Äußerungen hiermit mit dem Ausdruck des Bedauerns öffentlich zurück“. Alles festgehalten in den Protokollbüchern, die das lebendige und kaum nachvollziehbare Zoff-Leben seinerzeit zwischen Nachbarn und Familien in unserem Ort mit Namen und Hausnummern widerspiegeln. Mal einigte man sich nicht, mal konnte geschlichtet werden. Und das für ein paar Mark nebst Schreibgebühr so insgesamt um die acht Mark – ein Klacks.
In die Dokumente lohnt es sich, noch tiefer einzusteigen.
Liane Protzmann
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